Skip to main content

Schluss mit dem Schweigen: Die Beschäftigten in der Schleppschifffahrt erreichen ihre Belastungsgrenze

NACHRICHTEN Presseerklärung

29. März 2022, London / Brüssel

Letztes Jahr kamen Troy Pearson und Charley Cragg ums Leben, als sie bei rauer See und starkem, eisigem Wind einen Lastkahn schleppten, der zu einem Kraftwerk von Rio Tinto unterwegs war. Sie waren unter Druck gesetzt worden, trotz der unsicheren Bedingungen zu arbeiten.

Heute bringt die ITF einen Kurzfilm mit dem Titel Tug Workers Sound the Siren (Schlepperbesatzungen schlagen Alarm) heraus, der die Geschichte von Pearsons Tod schildert und die menschlichen Kosten einer krisengebeutelten Branche aufzeigt.

Parallel zu dem Film wurde ein neuer Bericht veröffentlicht, der die rapide Verschlechterung der Sicherheit und der Arbeitsbedingungen aufzeigt, die durch die Konzentration der Branche und das kartellartige Verhalten der großen Reedereien vorangetrieben wird.

"Der Tod von Troy Pearson und Charley Cragg ist eine Tragödie. Aber leider ist ihre Geschichte kein Einzelfall. Noch viele weitere Familien haben in dieser Branche unnötigerweise Angehörige verloren. Heute betrauern wir Troy, Charley und alle, die bei der Arbeit ums Leben kamen. So etwas darf einfach nicht geschehen," erklärte ITF-Generalsekretär Stephen Cotton.

"Wir veröffentlichen diesen Film schweren Herzens, aber wenn ich mit den Worten von Troys Frau Judy sprechen darf, müssen wir als Gewerkschaften in dieser Krise die Alarmglocke läuten, denn wenn wir 'diese Ungerechtigkeiten weiter zulassen, wird sich nichts ändern und wir werden noch mehr Menschenleben verlieren'."

Cotton warnte heute davor, dass die Schleppschifffahrt wahrscheinlich die nächste Front der Lieferkettenkrise bilden werde, die während der Covid-19-Pandemie Schlagzeilen machte, und erklärte, dass Reedereien den Einfluss, den sie durch die Konzentration in Form von Schifffahrtsallianzen gewännen, zur Senkung der Schlepptarife auf ein unsicheres und untragbares Niveau nutzten.

"Die Konsolidierung im Schifffahrtssektor hat die Konsolidierung in der Schleppschifffahrt nach sich gezogen: Immer weniger Betreiber sind dazu in der Lage, den durch schlechte Bezahlung und hafeninternen Wettbewerb entstehenden Druck zu überleben. In Europa ist beispielsweise die Zahl der großen Akteure in weniger als einem Jahrzehnt von zehn auf nur drei zurückgegangen, von denen sich zwei im Besitz von Schifffahrtsriesen befinden," so Cotton. 

Der ITF-Bericht Stopping the Race to the Bottom (Den Wettlauf nach unten stoppen) enthüllt ein sich ständig verschlechterndes Ausschreibungsumfeld, das durch die Forderungen der Allianzen nach Preisnachlässen entsteht und durch schwache Arbeitsgesetze begünstigt wird, die den Betreibern das Überleben ermöglichen, indem sie in ihren Instandhaltungs-, Sicherheits- und Arbeitsetats Kosten einsparen.

"Diese investigative Untersuchung zeigt ein alarmierendes Bild des gegenwärtigen Zustands der Schleppschifffahrt," erklärte Jacques Kerkhof, der Vorsitzende des ETF-Ausschusses für Schleppschifffahrt.

Kerkhof zufolge hat es nicht lange gedauert, bis sich das derzeitige Ausschreibungsumfeld in der Absenkung von Gesundheits- und Sicherheitsnormen und Angriffen auf Löhne und Beschäftigungsbedingungen niedergeschlagen habe.

"Weltweit erleben wir, dass Unternehmen versuchen, seit langem geltende Kollektivverträge zu zerreißen. Wir beobachten eine zunehmende Prekarisierung des Sektors. Vielen Beschäftigten wurde der Status unabhängiger Auftragnehmer*innen aufgezwungen Unternehmen senken ihre Investitionen in die Modernisierung und Instandhaltung ihrer Flotten und reduzieren sogar die Besatzungsstärken."

"Es ist nicht überraschend, dass die Schwere der Arbeitsunfälle zunimmt. Unsichere Besatzungsstärken sind immer häufiger festzustellen. Gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeiten werden nicht eingehalten. Stress und Übermüdung der Beschäftigten nehmen zu," so Kerkhof. "Der Druck, der auf den Beschäftigten in der Schleppschifffahrt lastet, bringt sie an ihre Belastungsgrenzen. Die Risiken für Menschenleben, die Umwelt und die Funktionsfähigkeit unserer globalen Lieferketten sind hoch."

Anlässlich des Jahrestages der Wiederflottmachung der Ever Given erklärte Yury Sukhorukov, der Vorsitzende der ITF-Sektion Binnenschifffahrt, dass die Akteure der Branche und die Regierungen die Rolle der Beschäftigten in der Schleppschifffahrt für die Aufrechterhaltung der weltweiten Lieferketten anerkennen müssten.

Am 29. März 2021 waren Schleppdienste zur Stelle, um die Ever Given nach neun Tagen unermüdlicher Rettungsbemühungen von Seeleuten wieder manövrierfähig zu machen. 

"Heute vor genau einem Jahr wurde eines der größten jemals gebauten Containerschiffe, die Ever Given, wieder flott gemacht, was zum großen Teil den Beschäftigten bei den Schlepp- und Bergungsdiensten zu verdanken ist. Durch diese Blockade wurde jeden Tag der Transport von Waren im Wert von 9,6 Milliarden Dollar verzögert, was für die Weltwirtschaft enorme Kosten verursachte," so Sukhorukov. "Wenn man bedenkt, dass jedes Mal, wenn ein durchschnittlich großes Containerschiff einen Hafen anläuft oder verlässt oder den Panamakanal durchquert, Schleppdienste benötigt werden, wird der Preis enorm sein, wenn die Beschäftigten in der Branche über ihre Belastungsgrenzen gebracht werden."

Cotton, der im Vorstand des Global Compact der Vereinten Nationen sitzt, forderte die Containerschifffahrtslinien, ihre Kunden, die Schleppdienstbetreiber sowie die Regulierungsbehörden auf, sich mit der ITF und den ihr angeschlossenen Gewerkschaften an einen Tisch zu setzen, um gemeinsam Tarife zu vereinbaren, die für die Betreiber tragbar sind und mit fairen und sicheren Bedingungen für die Beschäftigten einhergehen.

Der britischen Gewerkschaft Unite angeschlossene Beschäftigte in der Schleppschifffahrt aus Teesport reisten nach Kopenhagen (Dänemark), um anlässlich der Aktionärsversammlung der Muttergesellschaft Maersk-Gruppe gegen das Vorgehen von Svitzer zu protestieren.

"Unsere Botschaft an alle Schleppdienstbetreiber, die sich in Schwierigkeiten befinden und sehen, wie sich dieser Wettlauf nach unten auf ihre Beschäftigten und die Häfen auswirkt, lautet: Redet mit uns. Auch wir wollen eine nachhaltige Branche," so Cotton.

"An die Kunden, von den Reedereien über die Investoren bis hin zu den Vorstandsvorsitzenden der Konsumgüterriesen, appellieren wir, dem dringenden Ruf der Beschäftigten in der Schleppschifffahrt und ihrer Gewerkschaften nach einem Kurswechsel Gehör zu schenken. Ob Unternehmen nun Modelle der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht, ESG-Prinzipien, Corporate Responsibility oder ein Konzept des Risikomanagements umsetzen: Diese Krise darf nicht ignoriert werden." 

Hinweis

Im Rahmen dieser ITF-Kampagne sind die folgenden Materialien verfügbar:

Über die ITF: Die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF) ist ein demokratischer, von Mitgliedern geführter Zusammenschluss von Verkehrsgewerkschaften und als die weltweit führende Institution mit Zuständigkeit für den Verkehrssektor anerkannt. Wir kämpfen engagiert für die Verbesserung des Arbeitslebens und vernetzen Gewerkschaften und Beschäftigte aus 147 Ländern miteinander, um Rechte, Gleichheit und Gerechtigkeit für ihre Mitglieder zu sichern. Wir sind das Sprachrohr für die fast 20 Millionen erwerbstätigen Frauen und Männer, die die Welt bewegen.

Über die ETF: Der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF) ist eine paneuropäische Gewerkschaftsorganisation, der Gewerkschaften aus der Europäischen Union, dem Europäischen Wirtschaftsraum sowie aus mittel- und osteuropäischen Ländern angehören. Die ETF vertritt über 5 Millionen Verkehrsbeschäftigte aus über 200 Gewerkschaften in 40 europäischen Ländern. Diese Beschäftigten sind in allen Teilen des Verkehrssektors tätig - zu Land, zu Wasser und in der Luft.

Medienkontakt: media@itf.org.uk  |  (+447523) 908 679 

VOR ORT