Der Schienenverkehr ist potenziell eines der wirksamsten Instrumente zur Überwindung der durch Ungleichheit, Klimawandel und Covid-19 verursachten Krisen und zur Aufrechterhaltung der Weltwirtschaft. Die Schieneninfrastruktur könnte das Fundament nachhaltiger Lieferketten und eines neuen Wirtschaftsmodells sein, das statt auf Profiten und Privatinteressen auf Gemeingut und Kollektivbedürfnissen basiert.
Privatisierung und die Untervergabe von Dienstleistungen haben die globalen Lieferketten geschwächt und infolgedessen auch unsere Maßnahmen zur Reaktion und Bewältigung von Krisen: Öffentliche Eigentumsstrukturen und Investitionen sind das einzige Mittel, den Eisenbahnsektor zur nachhaltigen Lösung für diese Krisen zu machen.
Ein finanziell gut ausgestatteter und demokratischer Eisenbahnsektor ist eines der besten gesellschaftlichen Ausgleichsinstrumente. Berufliche Mobilität, öffentliche Gesundheit und gut bezahlte Beschäftigung für qualifizierte Arbeitskräfte nehmen zu, wenn Regierungen beim Ausbau und der Instandhaltung der Schienennetze mit Gewerkschaften, Fahrgästen und betroffenen Gemeinden zusammenarbeiten.
Privatisierung und die Untervergabe von Tätigkeiten gehen mit erheblichen Gefahren für die Gesundheit und Sicherheit von Fahrgästen und allen Bahnbeschäftigten einher. Privatisierung schränkt Transparenz und öffentliche Rechenschaftspflicht ein. Schwerwiegende Gesundheits- und Sicherheitsrisiken, wie die Übertragung von Covid-19, werden in Systemen, die sich in öffentlicher Hand befinden und in denen die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in Kollektivverhandlungen definiert werden, eher überwacht, identifiziert und behoben.
Bahnbeschäftigte bei Unterauftragnehmern, z. B. im Reinigungs-, Catering- und Verwaltungsbereich, arbeiten überproportional häufig in prekären, informellen und atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Ohne ausreichende Beschäftigungssicherheit und Sozialschutzleistungen sind diese Beschäftigten bisweilen gezwungen, trotz Müdigkeit, Überlastung oder Unwohlsein zu arbeiten. Dies stellt ein ernsthaftes Sicherheitsrisiko dar, insbesondere wenn innerhalb des Betriebs, des sozialen Umfelds oder der Lieferkette das Covid-19-Virus auftritt.
Frauen sind in Bereichen, die typischerweise untervergeben werden, wie Reinigungs-, Catering- und Verwaltungstätigkeiten, überrepräsentiert. Infolgedessen ist ihnen das Recht auf zusätzlichen Sicherheitsschutz, höhere Lohn- und Gehaltsstandards, bessere Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, Sozialschutz und Kollektivverhandlungen unverhältnismäßig oft verwehrt.
Öffentliche betriebene, mit ausreichenden Finanzmitteln ausgestattete und integrierte Bahnsysteme müssen das Kernstück eines neuen Wirtschaftsmodells sein. Privatisierung und die Untervergabe von Aufträgen sind unsicher, ungerecht und nicht nachhaltig. Die langfristige finanzielle Unterstützung der Bahnen muss an die Erfüllung öffentlicher Interessen, wie die Wahrnehmung der demokratischen Rechenschaftspflicht, die Schaffung menschenwürdiger Beschäftigung und die Gewährleistung von Gleichstellung, geknüpft sein. Die Eisenbahn ist ein öffentliches Gut – wir müssen dafür sorgen, dass sie stark genug ist, um einen Beitrag zur Verhinderung und Bewältigung künftiger Krisen zu leisten.
Die ITF ruft Regierungen und Eisenbahnbehörden auf, mit den Gewerkschaften über die folgenden Punkte zu verhandeln:
Schutz der Gesundheit und Sicherheit von Bahnbeschäftigten und Fahrgästen
1. Anerkennung von Covid-19 als Berufskrankheit;
2. Bereitstellung adäquater und geeigneter persönlicher Schutzausrüstung und Zugang zu Sanitäranlagen für alle Beschäftigten;[1]
3. Identifizierung von Risiken und neuen Belastungen für die Gesundheit, die Rechte und das Wohlergehen der Beschäftigten sowie Entwicklung und Umsetzung von betrieblichen Strategien, einschließlich standardisierter Social-Distancing-Protokolle und Schutz vor Gewalt am Arbeitsplatz und beruflicher Geschlechtersegregation;
4. Zugang zu kostenloser Gesundheitsversorgung und medizinischen Tests, Behandlung, Schulung sowie Schulungsmaterialien und -einrichtungen für alle Beschäftigten;
5. Bezahlte Freistellung von der Arbeit in Form von Kranken- oder Urlaubsgeld ab dem ersten Tag der Freistellung für alle Beschäftigten;
6. Verbesserung von Dienstplänen und Arbeitszeiten zum Schutz der Arbeitsplätze und der Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten;
Schutz der Rechte der Arbeitnehmer*innen zur Gewährleistung der Sicherheit der Fahrgäste
7. Das Recht, sich einer Arbeitssituation zu entziehen, bei der eine unmittelbare und schwere Lebens- oder Gesundheitsgefahr droht, ohne Angst vor Sanktionen;
8. Einhaltung der Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über Vereinigungsfreiheit, Kollektivverhandlungen, Zwangsarbeit, Diskriminierung, Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz, berufliche Geschlechtersegregation und Arbeitsschutz für alle Beschäftigten;
9. Schutz der Privatsphäre und personenbezogenen Informationen von Beschäftigten und Offenlegung von Daten, die zu Unternehmensentscheidungen beitragen, gegenüber den Gewerkschaften;
Schutz von Bezahlung, Beschäftigungsbedingungen und Arbeitsplätzen
10. Volle Entgeltfortzahlung sowie Aufrechterhaltung der Bedingungen und der Arbeitsplätze aller Bahnbeschäftigten während der Covid-19-Krise sowie bei jeglichen künftigen Störungen des Eisenbahnsektors;
11. Anerkennung und Vergütung der wichtigen Rolle von Verkehrsbeschäftigten und verbesserte Entschädigungsleistungen im Todesfall oder im Fall von Verletzungen in Ausübung des Dienstes;
12. Aushandlung einer gerechten und transparenten Verteilung der Auswirkungen der Covid-19-Krise und aller weiteren den Sektor betreffenden Störungen;
13. Beseitigung prekärer und atypischer Beschäftigungsverhältnisse im Eisenbahnnetz und der Lieferkette zum Schutz der Gesundheit, Sicherheit und des Wohlergehens aller Beschäftigten und Fahrgäste;
Aufbau von wirtschaftlicher und finanzieller Nachhaltigkeit
14. Anerkennung und Wahrnehmung der Sorgfaltspflicht für alle Beschäftigten in den Unternehmen und Lieferketten des Sektors; Reduzierung der Untervergabe und Auslagerung von Schienenverkehrsdiensten und -arbeitsplätzen; und gegebenenfalls
15. Ausweitung der öffentlichen Trägerschaft von Eisenbahnen und Beauftragung der Eisenbahnbehörden, alle Beschäftigten innerhalb der Schienennetze, einschließlich ausgelagerter und Leiharbeitskräfte, direkt zu verwalten und/oder zu beschäftigen;
16. Demokratische Rechenschaftspflicht bei der Planung, dem Ausbau und der künftigen Entwicklung des Schienenverkehrs durch die Vertretung von Beschäftigten in Eisenbahnbehörden und -verwaltungen;
17. Anerkennung des Beitrags des Schienenverkehrs zur Dekarbonisierung mit Investitionen in die Elektrifizierung des Schienennetzes im Rahmen der angestrebten Umwelt- und Dekarbonisierungsziele, -politiken, -strategien und -ausgaben;
18. Förderung fairer Verkehrssysteme, einschließlich einer fairen Preisgestaltung und Besteuerung des gesamten Verkehrssystems und der Lieferkette;
19. Kollektivverhandlungen mit Gewerkschaften über jegliche Einführung oder neue Verwendung von Technologien und Daten oder Änderungen im Hinblick auf vorhandene Technologien im Schienennetz; und
20. Reinvestition von Gewinnen in Schuldenabbau, die Modernisierung des Schienennetzes, Personalausbildung, geschlechtsspezifische Folgenabschätzungen und Maßnahmen, die die langfristige Nachhaltigkeit des Schienenverkehrs erhöhen.
Diese Maßnahmen müssen für alle Bahnbeschäftigten und alle Beschäftigten in der Lieferkette des Eisenbahnsektors gelten, unabhängig von ihrem Aufgabengebiet, ihren Vertragsvereinbarungen und ihrem Beschäftigungsstatus, und müssen Geschlecht und Migrationsstatus berücksichtigen.
[1] Siehe https://www.itfglobal.org/de/focus/covid-19/globale-forderungen
https://www.itfglobal.org/en/reports-publications/itf-sanitation-charter
https://www.itfglobal.org/en/news/public-transport-workers-worldwide-demand-protection-covid-19 für weitere Hinweise zu adäquater und geeigneter persönlicher Schutzausrüstung, Arbeitsschutzmaßnahmen und Sanitäranlagen.
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