Die Regierung Großbritanniens hat es versäumt, die erforderlichen Vorbereitungen für die von ihr selbst verfügte Änderung der Visabestimmungen zu treffen. Unterbezahlte zugewanderte Fischereibeschäftigte zahlen nun den Preis für die Nachlässigkeit und Inkompetenz der Regierung.
Mit der von Innenministerin Suella Braverman angekündigten Änderung werden die Bestimmungen für die Anheuerung und Beschäftigung von Fischereibeschäftigten aus dem Ausland verschärft. Die Nutzung von Transitvisa für Seeleute in britischen Hoheitsgewässern durch die Eigner von Fischereifahrzeugen wird dadurch illegal.
Bislang machten sich britische Eigner von Fischereifahrzeugen Transitvisa zunutze, obwohl diese eigentlich für Seeleute vorgesehen sind, die auf internationalen Schiffen anheuern, die die britischen Gewässer innerhalb von 48 Stunden verlassen. Das hatte zur Folge, dass Schiffseigner ausländischen Besatzungsmitgliedern über zehn Jahre lang ohne Konsequenzen nur ein Drittel des britischen Mindestlohns auszahlen konnten, indem sie erklärten, dass diese nicht in Großbritannien tätig seien, ungeachtet der Tatsache, dass diese Besatzungsmitglieder oft auf Schiffen, die in britischen Fischereihäfen liegen, arbeiteten und lebten.
Die Schließung dieses Visa-Schlupflochs ist begrüßenswert und das Ergebnis einer jahrelangen Kampagne von Gewerkschaften, maritimen Wohltätigkeitsorganisationen und Vertreter*innen der Wissenschaft. Eine von dieser Gruppe im letzten Jahr durchgeführte Untersuchung zeigte, wie sehr die Ausbeutung von Arbeitskräften in der Branche inzwischen verbreitet ist. Ausländische Besatzungsmitglieder berichteten von rassistischen Beschimpfungen und wurden routinemäßig gezwungen, ihre vertraglich festgelegten Arbeitszeiten zu überschreiten. Der durchschnittliche Stundenlohn lag dadurch auf knapp über 3 britischen Pfund. Die Untersuchung deckte eine "Ausbeutungskette" auf, an deren Anfang die fehlende Klarheit durch das Visa-Schlupfloch steht.
Zu Unrecht bestraft
Mangelhafte Planung und unzureichende Fristen führen nun allerdings dazu, dass eine in guter Absicht vorgenommene Änderung sich für die Beschäftigten, denen sie eigentlich helfen soll, zum Schlechten wendet.
Die Innenministerin und Parlamentsabgeordnete Suella Braverman setzte den betroffenen Fischereibeschäftigten und Arbeitgebern eine Frist von weniger als 24 Stunden, um sich auf den Einsatz von Grenzbeamten zur Durchsetzung der neu definierten Bestimmungen vorzubereiten.
In einem Schreiben an die Akteure der Kampagne kündigte Braverman an, dass der Grenzschutz ab dem 12. April für jeden Fischereibeschäftigten, der illegal in britischen Gewässern arbeitet, eine Strafe von GBP 20 000 über Schiffseigner verhängen werde:
"Die Regierung steht seit langem auf dem Standpunkt, dass ausländische Staatsangehörige eine Erlaubnis benötigen, um in britischen Gewässern zu arbeiten, und dass Transitvisa nie für die Berechtigung zur Arbeit in Großbritannien geeignet waren," heißt es in ihrem Schreiben. Und weiter:"… die Bestimmung des Nationality and Borders Act 2022 über die Arbeit in britischen Gewässern hat unsere Position lediglich klargestellt ... die bisherige Nutzung von Transitvisa für die Beschäftigung ausländischer Staatsangehöriger, die ihre Arbeit größtenteils in britischen Gewässern ausüben, heißt, dass sie illegal arbeiten. Das Innenministerium ist ferner besorgt über die zunehmende Aufdeckung von Arbeitsrechtsverletzungen auf See, und der Sektor muss diese Angelegenheiten dringend in Angriff nehmen."
Die Warnung Bravermans war von keinem Umsetzungsplan und nicht einmal einer grundlegenden Handlungsanleitung für Arbeitgeber und Fischereibeschäftigte begleitet, wie Geldstrafen und eine Abschiebung vermieden werden können.
Die ITF hatte Häfen in England, Schottland und Nordirland aufgesucht, um Fischereibeschäftigte darüber zu informieren, was sie tun müssen, um nicht abgeschoben zu werden und den Antragsweg für das neue, rechtmäßige Fachkräftevisum zu beschreiten. Die Broschüren wurden in zwölf verschiedene Sprachen übersetzt.
In den meisten Fällen schicken Arbeitgeber die Besatzungsmitglieder sofort nach Hause, um Probleme mit dem Grenzschutz zu vermeiden. Diejenigen, bei denen Verstöße gegen das Gesetz festgestellt wurden, liefen Gefahr, dass die Beamten gegen die Beschäftigten vorgingen.
Zum jetzigen Zeitpunkt befinden sich 2.000 Fischereibeschäftigte aus Staaten außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) in Großbritannien. Sie werden von britischen Unternehmen auf unter britischer Flagge fahrenden Schiffen beschäftigt, sind aber mit einem Transitvisum nach Großbritannien eingereist. Viele werden gezwungen sein, Großbritannien zu verlassen, und aufgrund des Englischtests, der Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Arbeitserlaubnis ist, möglicherweise nicht mehr zurückkehren können, so der ITF-Experte für die Fischereiwirtschaft und Kampagnenleiter in Großbritannien Chris Williams.
"Diese Leute haben Verträge unterzeichnet und kamen in gutem Glauben hierher, haben hart für die Branche gearbeitet, nur um von heute auf morgen damit konfrontiert zu werden, dass ihr Einwanderungsstatus illegal ist, was tags zuvor oder zum Zeitpunkt ihrer Anheuerung noch nicht klar war."
"Es ist unglaublich, dass diese konservative Regierung von diesen Fischereibeschäftigten verlangt, Knall auf Fall ihre Taschen zu packen und dieses Land vermutlich mit leeren Händen zu verlassen – ohne die Heuern, die ihnen für ihre restliche Vertragsdauer zustehen."
"Wir dürfen nicht vergessen, dass aus Ghana, den Philippinen, Indien, Sri Lanka und Indonesien zugewanderte Fischereibeschäftigte das Rückgrat der britischen Fischereiwirtschaft bilden, da die Branche derzeit nicht dazu bereit ist, Einheimische einzustellen oder britische Löhne zu zahlen. Ehrlich gesagt, Großbritannien ist ihnen etwas schuldig," so Williams.
"Die ITF steht nachdrücklich auf dem Standpunkt, dass die Meeresfrüchteindustrie und die britische Regierung die Pflicht haben, weiteren Schaden von diesen Beschäftigten abzuwenden. Von Arbeitskräften, die sowieso schon im Stich gelassen wurden, weil ihre Ausbeutung und Unterbezahlung so lange geduldet wurden."
Maßnahmen zur Unterstützung der Fischereibeschäftigten sind notwendig
Williams erklärte, es sei für die Branche und die britische Regierung nicht zu spät, dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten im Zuge des Übergangs zu einem System für die Erteilung von Fachkräfte-Visum nicht bestraft werden.
So könnte es seiner Meinung nach wirklich hilfreich sein, eine Bestimmung zu erlassen, wonach derzeit in Großbritannien arbeitende Besatzungsmitglieder im Land ein Fachkräfte-Visum beantragen können, anstatt dazu gezwungen zu werden, die Arbeit einzustellen und den Antrag von ihren Heimatländern aus zu stellen.
Auf diese Weise könnten sie weiterarbeiten und ihre Familien weiter ernähren, während sie auf den Bescheid des Innenministeriums warten. Anderen Antragsteller*innen, die sich in Großbritannien aufhalten, sei es möglich, bereits hier einen Antrag zu stellen. Dies sei sinnvoll, um den Betrieb der Lieferketten aufrechtzuerhalten und Störungen in der einheimischen Fischereiindustrie zu vermeiden, die zweifellos auf Arbeitskräfte aus Nicht-EWR-Ländern angewiesen ist, so Williams.
Es ist geplant, dass ITF-Vertreter*innen in den nächsten Wochen mit Branchenorganisationen und Fischereiunternehmen zusammentreffen, um über ein Hilfspaket für diejenigen zu beraten, deren Verträge aufgrund der Visumänderung abgebrochen wurden. In diesen Gesprächen wird die ITF kostenlose oder subventionierte Englischkursangebote für Besatzungsmitglieder vorschlagen, die in der britischen Wirtschaft arbeiten, damit sie die für das neue Fachkräfte-Visum vorausgesetzten englischen Sprachkenntnisse erwerben können.
Williams hofft, dass die zugewanderten Fischereibeschäftigten, die von der Änderung der Regierung betroffen sind, das neue Verfahren zur Beantragung von Fachkräfte-Visa beschreiten und weiter für die britische Fischereiwirtschaft arbeiten werden, aber diesmal mit vollem Schutz durch das britische Arbeitsrecht – wie es schon immer hätte sein sollen.
ENDE
Hinweise:
- Die ITF und die führenden maritimen Wohltätigkeitsorganisationen Großbritanniens Seafarers' Charity, Merchant Navy Welfare Board, Fishermen's Mission und Stella Maris brachten am 6. März in einem Schreiben an das Innenministerium ihre wachsende gemeinsame Besorgnis zum Ausdruck, worauf sie am 24. April eine Antwort erhielten.
- Die ITF-Kampagne gegen die Nutzung von Transitvisa für die Beschäftigung von Seeleuten brachte im Jahr 2022 systematische Ausbeutung in der britischen Wirtschaft zutage: https://www.itfglobal.org/en/reports-publications/one-way-ticket-labour-exploitation
- Ein Pressefoto des ITF-Experten für die Fischereiwirtschaft und Kampagnenleiter in Großbritannien Chris Williams kann hier heruntergeladen werden.
Zum Transitvisum für Seeleute:
- Das Transitvisum für Seeleute ist ursprünglich für Seeleute vorgesehen, die auf einem Schiff anheuern, das Großbritannien binnen 48 Stunden verlassen wird.
- Aufgrund eines Schlupflochs war es Schiffseignern und damit auch Lieferanten und Einzelhändlern von Meeresfrüchten möglich, Millionen von Pfund einzufahren, indem sie zugewanderten Fischereibeschäftigten nur ein Drittel des in Großbritannien gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohns zahlten.
- Während die Branche öffentlich behauptete, die Nutzung von Transitvisa sei rechtmäßig, konnten einige Schiffseigner dank der jahrzehntelangen Unentschlossenheit der Regierung Nutzen aus der drohenden Gefahr einer Abschiebung schlagen, um noch mehr Macht über die unterbezahlten Fischereibeschäftigten zu gewinnen. Die Besatzungsmitglieder konnten den Arbeitgeber nicht wechseln, selbst wenn sie misshandelt oder schikaniert wurden.
- Ohne rechtmäßigen Einwanderungsstatus saßen die Besatzungen oft auf den Schiffen fest, auf denen sie arbeiteten. Sie hatten weder Zugang zum National Health Service noch zu anderen landseitigen Gesundheitsdiensten.
- Durch dieses Machtgefälle breitete sich Ausbeutung aus, wobei manche Arbeitgeber unterschwellig oder ausdrücklich mit Abschiebung und strafrechtlichen Konsequenzen drohten, um Besatzungsmitglieder unter Druck zu setzen, Überstunden zu akzeptieren oder sich nicht bei Behörden zu beschweren.
Über die ITF: Die Internationale Transportarbeiter Föderation (ITF) ist ein demokratischer, von Mitgliedern geführter Verband von Verkehrsgewerkschaften und als die weltweit führende Institution mit Zuständigkeit für den Verkehrssektor anerkannt. Wir engagieren uns für die Verbesserung des Arbeitslebens und vernetzen Gewerkschaften aus 140 Ländern miteinander, um Rechte, Gleichheit und Gerechtigkeit für ihre Mitglieder zu sichern. Wir sind Sprachrohr für die knapp 20 Millionen Männer und Frauen, die die Mobilität der Welt sicherstellen.
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