Der Panamakanal steht bedauerlicherweise seit jeher im Ruf, das todbringendste Bauprojekt der Welt zu sein. Im Verlauf von 32 Jahren starben 30.609 Beschäftigte – mehr als die Kriegsgefangenen, die beim Bau der Eisenbahn in Burma ums Leben kamen.
Seit der Fertigstellung des Ausbaus der Passage für die Mega-Schiffe der Welt im Jahr 2016 steht die Schifffahrtssicherheit im Panamakanal im Rampenlicht.
Die Besatzungen der Schleppboote, die jedes Jahr über 12.000 Schiffe durch den Kanal ziehen, klagen über gefährlich lange Arbeitszeiten, die die Sicherheit der Crew und der Schiffe sowie des Panamakanals selbst beeinträchtigen.
"Vor der Eröffnung des neuen Kanals haben wir der Kanalverwaltung gesagt, dass wir mehr Schleppboote und mehr Leute brauchen," erklärte ein Schleppbootkapitän, der anonym bleiben wollte, dem Magazin Safety at Sea (SAS). "Sie wollten nicht auf uns hören."
Um den Kanalbetrieb am Laufen zu halten, leisten die Beschäftigten permanent Überstunden und arbeiten sogar an ihren freien Tagen.
"Ich habe 13 Überstunden innerhalb von drei Tagen angesammelt," so José (Name geändert) zu SAS. "Unsere Männer wurden derart bedroht und schikaniert, dass sie zur Arbeit gehen, selbst wenn sie dort einschlafen. Vier von uns wurde mit der Kündigung gedroht, als sie sagten 'Ich bin zu müde. Ich kann nicht mehr. Es ist unverantwortlich, weiterzuarbeiten.'"
Frustriert darüber, dass die Panamakanal-Behörde (ACP) den Bedenken der Kapitäne nicht nachging, bat die Union de Capitanes y Oficiales de Cubierta (Gewerkschaft der Kapitän/innen und Deckoffizier/innen) die Internationale Transportarbeiter-Föderation, eine Untersuchung in Auftrag zu geben.
Die Studie Fatigue among Panama Canal tugboat captains (Übermüdung bei Schleppbootkapitänen auf dem Panamakanal), die von Dr. Barry Strauch und Dr. Isabel Gonzales durchgeführt wurde, Fachleute auf dem Gebiet der Untersuchung von menschlichem Versagen und Unfallursachen sowie im Bereich der Arbeitsmedizin, löste Alarm aus.
Sie kam zu dem Ergebnis, dass Dienstpläne, die zur Übermüdung führen, sich in zweierlei Hinsicht negativ auswirken: zum einen auf die Gesundheit der Schleppbootkapitäne und zum anderen auf ihre Leistungsfähigkeit und damit die Betriebssicherheit des Panamakanals.
"Da die Schlepper für die Durchfahrt großer Schiffe mit gefährlicher Ladung durch enge und komplexe Wasserstraßen eine entscheidende Rolle spielen, wächst die Gefahr katastrophaler, erschöpfungsbedingter Unfälle," so das Fazit der Studie.
Innerhalb von zwei Jahren nach der Neueröffnung des Kanals (und der Durchquerung von 5.000 Neo-Panamax Frachtern) ereigneten sich bereits zwei große Kollisionen, beide in der Zeit zwischen Mitternacht und 2 Uhr morgens. Zumindest eine dieser Kollisionen wurde direkt auf die Übermüdung des Schleppbootkapitäns zurückgeführt. Die ACP stellte die für die Untersuchung der beiden Kollisionen mit Kuttern der US-Küstenwache (USCG) angeforderten Informationen nicht zur Verfügung.
Die US-Behörden erhielten keine Erlaubnis, Schleppbootkapitäne zu treffen oder zu befragen, obwohl Mitarbeiter/innen der ACP an der Untersuchung beteiligt waren. Auch die Dienstpläne der Kapitäne wurden ihnen nicht ausgehändigt.
Die US-amerikanische Nationale Behörde für Transportsicherheit kam dennoch zu dem Schluss, dass die Kollision des Schleppers Cerro Santiago mit dem USCG-Kutter Tampa am 18. April 2017 dadurch verursacht wurde, dass die Wachsamkeit des Kapitäns der Cerro Santiago aufgrund von Übermüdung eingeschränkt war.
Bei der anderen Kollision am 2. Juni 2016 wurde der USCG-Kutter Thetis beschädigt, als ein von einem Schlepper gezogener Frachter am Heck mit ihm zusammenprallte.
Die ACP schien diesen Warnsignalen jedoch keine Beachtung zu schenken. Stattdessen reduzierte die Kanalverwaltung die Besatzungen der Schleppboote und verlängerte die Arbeitszeiten.
Verkleinerung der Schiffsbesatzungen
Am 12. April 2018 zog die ACP ein Drittel der Seeleute von den Schleppbooten ab, womit nur noch zwei Kapitäne, zwei Seeleute, ein Maschinist und ein Öler an Bord blieben, stellte die Studie fest.
Am 1. Juli 2018 strich die ACP dann auch noch den Posten des zweiten Kapitäns, der für die Passage der Schleusen eingesetzt worden war. "Wir sind jetzt noch erschöpfter," so José gegenüber SAS.
"Die Leute schlafen ein. Seit Juli sind sieben Schlepper mit Schiffen zusammengestoßen, weil Besatzungsmitglieder eingeschlafen waren. Früher geschah das ein- oder zweimal pro Jahr. Jetzt hatten wir schon sieben Unfälle in sechs Monaten. Manche Unfälle werden gar nicht gemeldet. Ich spreche nur von denen, die gemeldet wurden. Dazu kommen die Beinaheunfälle. Das ist mir schon häufig passiert – durch Sekundenschlaf. Es reicht schon, ein paar Sekunden einzuschlafen, um auf ein Schiff aufzufahren."
Aber die Kapitäne sind nicht die einzigen Leidtragenden. Im November 2017 starb ein Leinenmann in den Neo-Panamax-Schleusen an einer Kopfverletzung. Ein zweiter erlitt im April 2017 schwere Verletzungen bei einem Unfall während eines Leinenmanövers und ein dritter, Adamy Caballero, kam am 15. Januar 2019 ums Leben.
Die Schlepper-Crews geben der reduzierten Bemannung die Schuld am Tod dieser Männer. "Die Verwaltung will Personal streichen," so José.
"Die Schlepper sind unterbemannt. Es sind nicht genug Leute an Bord, um jeweils eine Person am Bug und einen am Heck aufzustellen. Deshalb muss einer allein ständig hin und her rennen."
Verkleinerte Schiffsbesatzungen bedeuten, dass weniger Menschen mehr Arbeit bewältigen müssen. Die sind dann mehr auf sich selbst gestellt und leiden unter noch größerer Erschöpfung.
Die Studie wies auf die Rolle von Übermüdung bei Schifffahrtsereignissen hin und zitierte hierzu die Feststellung der britischen Untersuchungsbehörde für Seeunfälle (Marine Accident Investigation Branch), dass "bei einem Drittel aller Fälle, in denen ein Schiff auf Grund lief, ein erschöpfter Offizier bei Nacht allein auf der Kommandobrücke stand".
Die US-Behörde für Transportsicherheit kam zu dem Urteil, dass die Strandung des Tankers Exxon Valdez am 24. März 1989 teilweise darauf zurückzuführen war, dass der dritte Maat das Schiff aufgrund von Erschöpfung und übermäßiger Arbeitsbelastung nicht mehr richtig manövrieren konnte.
Die meisten der 55 für die Studie befragten Kapitäne (von 150 Kapitänen insgesamt) mussten überlange Schichten von 12 bis 20 Stunden ohne ausreichende Ruhepausen absolvieren. Alle litten unter Erschöpfung. Von den Befragten arbeiteten 45 % innerhalb von 60 Tagen 16 Mal 20-Stunden-Schichten, 75 % hatten Schlafprobleme.
Sechs Schleppbootkapitäne gaben zu, beim Betrieb von Schleppern schon kurz eingeschlafen zu sein. Sechs waren bei der Fahrt von und zur Arbeit an Autounfällen beteiligt.
Alle für die Studie befragten Schleppbootkapitäne erklärten, dass sich die Übermüdung infolge der seit April 2018 erfolgten Änderungen erhöht habe.
Der Schiffsverkehr hat zugenommen, es wurden jedoch keine zusätzlichen Schleppboote und Crews eingesetzt, stellt die Studie fest.
Ein für den Bericht befragter Kapitän bezeichnete die Arbeit als Sklaverei.
"Es ist wie im Gefängnis. Du sitzt da und hast keine Ahnung, wann du von Bord gehen kannst, ob ein zweiter Kapitän zu deiner Unterstützung kommt oder nicht, oder ob du deine Frau und dein Kind bald sehen wirst. Selbst der Gang zur Toilette kann eine Disziplinarmaßnahme nach sich ziehen. Du fühlst dich wie ein Sklave."
Ein anderer sagte, er bitte den Lotsen manchmal um Erlaubnis, zur Toilette gehen zu dürfen. Ein anderer trank nichts mehr, um zu vermeiden, überhaupt auf die Toilette zu müssen.
"Es kann vorkommen, dass du vier bis Stunden ohne Unterbrechung da sitzt, um Schiffen zu helfen. Im neuen Kanal darf man die Steuerelemente keinen Augenblick loslassen. Im alten hast du vielleicht fünf Arbeitsvorgänge zu erledigen, aber dazwischen immer 10 bis 15 Minuten Zeit."
Die Schleppbootcrews kritisierten, dass es keine Vorschriften zur Überstundenbegrenzung gibt.
"Wenn du dauernd klagst, dass du müde bist, riskierst du Abzüge von deinem Leistungsbonus," erklärte ein Kapitän. Um das zu vermeiden, hätten sie Mechanismen zum Wachbleiben entwickelt, berichteten die befragten Kapitäne. So tränken sie z. B. Kaffee, schlügen sich selbst ins Gesicht oder tanzten.
Der Unterschied zwischen der Arbeit in den alten und den neuen Schleusen sei riesig, so einer der Kapitäne beim Interview für die Studie, und er fügte hinzu: "Der zweite Kapitän ist notwendig, um diese Arbeit sicher durchzuführen. Mit einer zweiten Person kannst du mal eine Pause einlegen und bleibst wachsamer. Die neuen Schleusen nur mit einem Kapitän zu passieren, ist unmenschlich. Du bist der einzige Mensch an Bord, der das Schiff steuern kann."
Höllische Arbeitsbelastung
Die Kapitäne klagen darüber, dass die Arbeit an den Steuerelementen gnadenlos hart sei. Selbst wenn der Lotse das Schiff zum Anhalten aufgefordert hat, müssen die Schlepper unter Kontrolle gehalten werden, während sich die Schleuse füllt und entleert. Die Crew muss dann aufpassen, dass das Boot nicht gegen die Schiffswand oder den Anker schlägt.
Bei den neuen Schleusen ist die Arbeitslast noch größer, weil zwei Schleppboote gebraucht werden, um den größeren Neo-Panamax-Schiffen bei der Durchfahrt zu helfen. "Es gibt keine Zugwagen, nur die Schleppboote und das Schiff, während der Wasserpegel steigt und sinkt," erklärte einer der Kapitäne. "Die Schichten sind die Hölle, besonders für die Schleppboote, die LNG-Tanker ziehen."
Panama hat zwar das Internationale Übereinkommen über Normen für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten (STWC) unterzeichnet, aber die ACP ist eine Sache für sich, so die Aussage eines im Bericht zitierten Kapitäns.
"In den letzten zwei Jahren war es nicht ungewöhnlich, dass Kapitäne in Doppelschichten arbeiteten. Sie arbeiten 17 Stunden und müssen dann [zur nächsten Schicht] wieder parat stehen," erklärte er.
José sagte gegenüber SAS, dass er nach der Eröffnung der neuen Panama-Schleusen anfangs eine 8- bis 9-stündige Mitternachtswache schob und dann nach Hause konnte. "In den neuen Schleusen müssen wir heute zwei oder drei Stunden am Stück dranhängen," sagte er.
Erschöpfung sei nicht das einzige Problem, fügte er hinzu, auch die Konstruktion der neuen Schleusenwände sei problematisch.
"Wenn ein Schleppboot gegen die Wände der alten Schleusen schlägt, halten die das aus," so José. "Aber wenn die Wände der neuen Schleusen nur leicht berührt werden, entstehen strukturelle Schäden. Die Wände werden wirklich ausgehöhlt. Die Fender, die sie verwenden, sind nutzlos und ganz schön teuer." Selbst wenn das Schiff stillsteht, erklärte José, muss der Kapitän es in der Mitte halten, damit es die Wand nicht berührt.
"Wir müssen einen 45-Grad-Winkel einhalten," so José. "Ich kann die Steuerelemente nicht loslassen, selbst wenn ich das wollte, weil das Boot auf keinen Fall die Wand berühren oder die Fender verschieben darf. Ich würde vom Dienst suspendiert oder eine strenge Disziplinarstrafe erhalten."
Viele Kapitäne betonten zwar die Dringlichkeit der Probleme, die die Sicherheit im Panamakanal beeinträchtigen, haben aber das Gefühl, dass nur wenig getan wird. Einer der Hauptgründe dafür sei Einschüchterung, klagen sie. An dem Tag, als die ACP den zweiten Kapitänsposten strich, wurde allen, die sich darüber beschwerten, mit der Kündigung gedroht.
"Sie führten eine Medienkampagne, in der sie uns als Terroristen und Kriminelle bezeichneten," schilderte José dem SAS. "Wenn du nur gefragt hast, wo denn der zweite Kapitän sei, wollten sie dich schon feuern. Elf Kapitänen wurde die Entlassung angedroht."
Die ACP streitet alle in der Studie erhobenen Anschuldigungen ab.
"Der Panamakanal setzt bewährte Praktiken um und erfüllt internationale Normen für die Sicherheit seines Betriebs und der Beschäftigten," teilte ein Vertreter der Hafenverwaltung dem Magazin mit.
"Die ITF hat keine Kompetenzen, sich in die Angelegenheiten der Kanalbeschäftigten einzumischen.
"Der Panamakanal hat vor kurzem zwei Studien bei unabhängigen Sachverständigen in Auftrag gegeben, an denen die Gewerkschaft bei der ACP beteiligt war und in denen nachgewiesen wurde, dass die Arbeit sicher ist."
José bestätigte die Existenz der früheren Berichte. Er sagte, sie hätten die Kanalverwaltung gebeten, die Problematik der Schichtarbeit und Übermüdung zu untersuchen, aber ein interner Bericht habe das Problem abgetan. Dann habe die ACP bei The Maritime Group (TMG) in London eine Untersuchung der Arbeitsbelastung der Schleppbootkapitäne und des Betriebs der neuen Panama-Schleusen in Auftrag gegeben.
"Dieser Bericht empfahl, einen Maat zur Unterstützung des Kapitäns einzusetzen, wenn die ACP nur einen einzigen Kapitän an Bord vorsah," erinnert sich José. "Das wurde schlichtweg ignoriert."
TMG-Geschäftsführer Malcolm Parrott bestätigte bei einer Anfrage von SAS die Existenz der Studie, lehnte aber eine Stellungnahme mit der Begründung ab, der Bericht sei von der ACP in Auftrag gegeben worden und daher deren Eigentum und vertraulich.
Kapitän Max Newman, der im Schleppbetrieb der ACP tätig ist, wurde ebenfalls um eine Stellungnahme gebeten, zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Textes lag jedoch noch keine Antwort vor.
Die ITF ist der Meinung, dass die ACP alle mit Übermüdung in Zusammenhang stehenden Vorkommnisse und schwere Risiken unter den Teppich kehren will.
Die Seeleutegewerkschaft hat den Bericht über Übermüdung bei den Schleppbootkapitänen auf dem Panamakanal an die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO), die Internationale Schifffahrtskammer, den Arbeitgeberverband der Reedereien (International Maritime Employers' Council-IMEC) und mehrere Reedereien geschickt, um auf durch die Erschöpfung von Schleppbootkapitänen bedingte Risiken für Gesundheit und Sicherheit aufmerksam zu machen, teilte der Vorsitzende der ITF-Sektion Binnenschifffahrt Yuri Sukhorukov dem SAS mit.
"Auf die ernsten und ständigen Risiken für Kapitäne, Seeleute, Schiffe und den Kanal selbst muss reagiert werden, und wir appellieren an alle Branchenakteure, gemeinsam nach Lösungen zu suchen," so Sukhorukov.
Eine der zentralen Empfehlungen der Studie beinhaltet die Einrichtung einer neuen, unabhängigen Behörde zur Beaufsichtigung der Sicherheit des Kanalbetriebs aufgrund der notorischen Verstöße der ACP gegen die Vorschriften und Praktiken der IMO zum sicheren Betrieb.
Als weitere Maßnahmen empfiehlt die Studie, dass die neue Behörde die ACP zum Einsatz eines zweiten Kapitäns bei der Durchfahrt durch die neuen Schleusen verpflichten soll, die Schleppbootkapitäne in Entscheidungen einbeziehen soll, die ihre Zuständigkeiten betreffen, und dass die ACP ein Sicherheitsmanagementsystem und ein Risikomanagementsystem für Übermüdung einführen soll, um die Betriebssicherheit zu gewährleisten. Das beinhaltet auch, den Schleppbootkapitänen genügend Zeit zu geben, um ihren Schlafrhythmus bei der Umstellung der Dienstpläne anzupassen, die Stundenzahl zu begrenzen, die Schleppbootkapitäne am Stück arbeiten dürfen, Ruheeinrichtungen an oder in der Nähe des Arbeitsplatzes zur Verfügung zu stellen und zwischen den Schichten Mindestruhezeiten vorzusehen.
Von: Zoe Reynolds, Berichterstatterin
Quelle: Safety at Sea (SAS)
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