- Luftverkehrsgewerkschaften fordern die Einrichtung neuer nationaler Luftfahrtgremien mit Aufsichtsbefugnis über starke Betriebsstandards und nachhaltige Beschäftigungspraktiken in ihrem Sektor.
- Laut einer jüngsten Umfrage fühlen sich nur 23 Prozent der Beschäftigten in der Luftverkehrswirtschaft von ihrem Arbeitgeber respektiert, und 89 Prozent finden, dass die Qualität der Arbeitsplätze abnimmt.
- "A New Deal for Aviation"fordert zudem verbindliche Maßnahmen der Industrie in Bezug auf Dekarbonisierung, Digitalisierung und nachhaltige Finanzierung.
London (Großbritannien); Montreal (Kanada), 8. September 2022. Angesichts von Befürchtungen um eine anhaltende Periode wiederkehrender Krisensituationen in der Luftfahrt haben die Luftverkehrsgewerkschaften auf globaler Ebene ein Rahmenkonzept verabschiedet, das ein ständiges Chaos in diesem Sektor verhindern soll.
In einer aktuellen Umfrage unter mehr als 3.500 Luftverkehrsbeschäftigten in 86 Ländern hatten 89 Prozent den Eindruck, die Qualität der Arbeitsplätze nehme ab, und nur 23 Prozent gaben an, sich von ihrem Arbeitgeber respektiert zu fühlen. Zudem waren nur 21 Prozent der Meinung, ihre Regierung leiste im Umgang mit dem Luftverkehrssektor gute Arbeit.
Die Säulen des Rahmenkonzepts "A New Deal for Aviation"werden noch diesen Monat der Versammlung der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) vorgelegt. Zu den Forderungen gehört die sofortige Einrichtung nationaler Luftverkehrsgremien zur Sanierung einer Industrie, die "ökologisch, wirtschaftlich und sozial untragbar geworden" ist.
Dieses Rahmenkonzept, koordiniert von der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) und unterstützt von mehr als 250 Mitgliedsgewerkschaften, die mehr als 1 Million Beschäftigte in der Luftverkehrswirtschaft repräsentieren, sieht die Einrichtung neuer Luftfahrtgremien vor, die Regierungen, Arbeitgeber, Gewerkschaften und die Öffentlichkeit in die Entwicklung landesspezifischer, nationaler Luftfahrtpläne einbinden.
Mittels solcher Pläne könnten Verkehrsministerien, Luftfahrtbehörden, Arbeitgeber und Gewerkschaften die strukturellen Ursachen dieser Krise angehen, darunter ganz besonders die stark angeschlagene Resilienz der Industrie nach vielen Jahrzehnten der Deregulierung und Fragmentierung.
Diese Aktion der Gewerkschaften kommt zu einer Zeit, da der Luftverkehrssektor die Grenzen seiner Belastbarkeit erreicht. Infolge jahrelanger Deregulierung, Privatisierung und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen leidet er nun unter Arbeitskräftemangel und verzeichnet weitreichende Störungen des Reiseverkehrs.
In den meisten großen Luftverkehrsmärkten der Welt sehen sich Fluggäste derzeit mit Tausenden von Flugstornierungen, Verspätungen, reduzierten Kapazitäten und sogar einer Deckelung der Flugzahlen an einigen der weltweit größten Flughäfen konfrontiert.
Dazu ITF-Generalsekretär Stephen Cotton: "Eine jahrzehntelange Verschlechterung von Bezahlung und Arbeitsbedingungen hat die Luftfahrtindustrie an den Rand des Dauerchaos geführt."
"Ohne eine koordinierte Reaktion, die sowohl den kurz- und längerfristigen Arbeitskräftemängel als auch den strukturellen Wandel angeht, wird der Luftverkehr von einer Krise in die nächste gehen. Regierungen haben die Kontrolle über die Luftverkehrswirtschaft in ihren Ländern verloren und müssen sie dringend zurückgewinnen."
Der "New Deal for Aviation", präsentiert auf der Sektionskonferenz Zivilluftfahrt in Montreal (Kanada), fordert zudem verbindliche Maßnahmen der Industrie in Bezug auf Dekarbonisierung, Digitalisierung und nachhaltige Finanzierung. Dies beinhaltet eine Verpflichtung zu "wirklich CO2-neutralem Wachstum" über die Verkehrsniveaus von 2019 hinaus sowie die Beseitigung von Gewalt gegen Beschäftigte in der Luftverkehrswirtschaft durch die Umsetzung grundlegender IAO-Übereinkommen in nationales Recht.
Edgardo Llano, Vorsitzender der ITF-Sektion Zivilluftfahrt und Generalsekretär der argentinischen Asociación del Personal Aeronáutico (APA), erklärte: "Wir müssen die Kontrollmechanismen des globalen Luftverkehrs wiederherstellen."
"Dieser Sektor war früher in vielen Ländern der Welt eine nationalisierte Industrie, doch das Pendel ist inzwischen zu weit zugunsten der CEOs und Aktionäre ausgeschlagen, während Beschäftigte und Fluggäste das Nachsehen haben."
"Der New Deal kann dieses Ungleichgewicht korrigieren und sicherstellen, dass sowohl Arbeitnehmer als auch Reisende zu ihrem wohlverdienten Recht kommen."
Laut der ITF-Umfrage denken zudem nur 11 Prozent der Beschäftigten in der Luftverkehrswirtschaft, dass ihre Arbeitgeber in ihrem Interesse handeln, und 89 Prozent glauben, dass sie ausschließlich die Interessen der Aktionäre verfolgen.
Ein aktueller Branchenbericht stellte fest, dass 15 der weltweit größten Fluggesellschaften die Arbeitsbedingungen für Hunderttausende von Beschäftigten während der Corona-Pandemie beschnitten haben, u. a. mit aggressiven gewerkschaftsfeindlichen Taktiken sowie "Fire and Rehire"-Maßnahmen.
Dazu Cotton abschließend:
"Es gilt, den Luftverkehr als öffentliches Gut sowie als globale Drehscheibe der Wirtschaft anzuerkennen und zu behandeln. Die koordinierte Zusammenarbeit von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Regierungen an nationalen Plänen wird die Luftfahrt für die unmittelbare Zukunft schützen, während wir einen Sektor aufbauen, der seinen Aufgaben gewachsen ist, künftige Krisen bestehen kann und den Interessen der Beschäftigten und der Öffentlichkeit dient."
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Hinweise für Redaktionen
A New Deal for Aviation umreißt wesentliche Schritte zur Gewährleistung eines nachhaltigen Luftverkehrs. Einige der zentralen Empfehlungen:
- Bildung nationaler Luftverkehrsgremien, die Interessenvertreter der Industrie wie Arbeitgeber, Regierungen und Gewerkschaften zusammenbringen, um eine belastbare und sichere Dienstleistungskette im Luftverkehr zu gewährleisten.
- Einführung robuster Betriebsstandards für alle Luftverkehrsdienstleistungen als Voraussetzung für den Eintritt in die Branche.
- Bevollmächtigung von Flughafenbehörden, die Dienstleistungserbringung an Flughäfen zu koordinieren und Standards zu definieren.
- Einbeziehung von Vorschriften für nachhaltige Beschäftigung und hohe Sicherheitsstandards in Luftverkehrsabkommen zwischen Nationen.
- Beseitigung aller Formen von Gewalt und Belästigung gegen Luftverkehrsbeschäftigte durch Umsetzung von Mechanismen wie z. B. dem Montrealer Protokoll 14 und dem IAO-Übereinkommen 190 in nationales Recht.
- Verpflichtung zu wirklich CO2-neutralem Wachstum über die Verkehrsniveaus von 2019 hinaus.
- Einbeziehung von Luftverkehrsbeschäftigten in die Entscheidungsfindung auf dem Wege von "Just Transition"-Ausschüssen auf allen Ebenen, um sicherzustellen, dass die Industrie ihre höchst kompetenten und erfahrenen Arbeitskräfte halten kann, weil diese entscheidend zur Identifizierung, Entwicklung und Umsetzung von Nachhaltigkeitsinitiativen beitragen werden.
- Einbeziehung von Beschäftigten in die Entscheidungsfindung rund um die Notwendigkeit, Entwicklung und Verwendung digitaler Technologien, die eine hochqualifizierte, sicherheitskritische Branche unterstützen und die menschliche Interaktion, die Fluggäste erwarten, bewahren.
Die vollständige Umfrage unter Mitgliedern von Luftverkehrsgewerkschaften:
1. Bist du der Meinung, dass die Qualität der Arbeitsplätze im Luftverkehrssektor abnimmt?
a) 89%: JA
b) 11%: NEIN
2. Hast du das Gefühl, dass deine Arbeit oder deine Rolle von deinem Arbeitgeber respektiert wird?
a) 77%: NEIN
b) 23%: JA
3. In wessen Interesse handelt dein Arbeitgeber deiner Ansicht nach?
a) 87%: Anteilseigner
b) 13%: Beschäftigte
4. Leistet deine Regierung im Umgang mit der Luftfahrtindustrie gute oder schlechte Arbeit?
a) 21%: Gute Arbeit
b) 79%: Schlechte Arbeit
5. Findest du, dass der Luftverkehrssektor besser wäre, wenn man Beschäftigte an der Entscheidungsfindung beteiligen würde?
a) 96%: JA
b) 4%: NEIN
Über die ITF Die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF) ist ein demokratischer, von Mitgliedern geführter, globaler Zusammenschluss von 670 Gewerkschaften in 147 Ländern, der mehr als 18 Millionen Beschäftigte in allen Verkehrssektoren vertritt. Wir setzen uns leidenschaftlich für die Rechte von Verkehrsbeschäftigten, Gleichheit und Gerechtigkeit ein.