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Gestrandete Seeleute fliegen von Brasilien nach Hause

NACHRICHTEN

Nach acht Wochen Ungewissheit, fern von Zuhause, ohne Heuern und vom Hunger bedroht, sind 14 Seeleute aus der Ukraine und Montenegro, die in der Bucht von São Sebastião in Brasilien festsaßen, dank der Hilfe der ITF wieder zurück bei ihren Familien. Und das mit 261.009 US-Dollar Heuernachzahlungen in der Tasche.

Im Juli hatte Renialdo de Freitas berichtet, dass er in seiner Funktion als ITF-Inspektor in Brasilien Kontakt zu der Besatzung aufgenommen hatte und sich gemeinsam mit Regierungsbehörden um die Eintreibung ausstehender Heuern bemühte.

Hier der Insiderbericht über die Prüfungen und Leiden der Besatzungsmitglieder der Srakane.

De Freitas empfing einen Notruf des Ersten Offiziers der Srakane Nikita Pavlenko*, als das Schiff im April von Marokko in Salvador eintraf.

"Wir gehen heute Morgen (20. April) vor Anker," schrieb Pavlenko in seiner E-Mail. "Fünf Besatzungsmitglieder haben seit sechs Monaten keine Heuern erhalten und wollen von Bord. Alle Verträge sind abgelaufen. Wir hoffen auf Ihre Hilfe."

De Freitas fragte nach, ob das Schiff Mängel habe, sodass nach nationalem Recht und dem Seearbeitsübereinkommen die Möglichkeit bestünde, es in einem brasilianischen Hafen festzuhalten. Pavlenko wies ihn auf Probleme mit dem Kran, Lukenabdeckungen und Navigationsgeräten auf der Kommandobrücke hin.

Der 34 Jahre alte Stückgutfrachter lag einen Monat für Reparaturen und zur Bunkerung von Treibstoff in Salvador fest. Die Besatzung machte sich Sorgen, weil die Vorräte zur Neige gingen und ihre Familien kein Geld erhielten. Der Erste Offizier Pavlenko litt wegen der Belastung unter Migräneanfällen.

"Meine Kopfschmerzen wurden von Tag zu Tag schlimmer. Ich schluckte ständig Tabletten," schrieb er später.

Dann nahm das unter der Flagge von Panama fahrende Schiff Kurs nach Süden.

"Ich verfolge die Schiffsposition," schrieb de Freitas der Besatzung. "Ich bin bereit, die Hafenbehörde von São Sebastião zu kontaktieren. Ich habe bereits Claudio Tarifa (Arbeitsinspektor, Brasilien), den Eigner des Schiffes und die Hafenbehörden informiert."

"Ich habe um dringende Maßnahmen zur Versorgung des Schiffes mit Lebensmitteln und sonstigen Vorräten gebeten."

Als die Srakane am 1. Juni im Hafen von São Sebastião einlief, nahm de Freitas eine vierstündige Autofahrt auf sich, um sich mit der Besatzung zu treffen.

Pavlenko zufolge setzte sie der Kapitän unter Druck, nichts zu sagen. Er machte der Besatzung Vorwürfe, weil sie die Behörden eingeschaltet hatten.

Der Kapitän war einer von nur zwei Kroaten an Bord, das nach einer Insel in der kroatischen Adria benannt ist und einer kroatischen Reederei gehört.

"Mir wurde gesagt, dass sie sich in die Haare gerieten und Pavlenko sich in seiner Kabine einsperrte," erzählte de Freitas. 

Der ITF-Inspektor riet der Crew, bei weiteren Provokationen oder Schikanen Ruhe zu bewahren und das Schiff nicht zu verlassen, bevor die Heuern ausgezahlt wären.

"Sonst könntet ihr alles verlieren," schrieb er.

Die Crew machte klar, sie werde nun klare Kante zeigen.

"Wir haben genug davon, dass unsere Familien so verhöhnt werden," schrieb ein Besatzungsmitglied. "Viele unserer Verwandten brauchen medizinische Behandlung, und wir können noch nicht einmal für den Unterhalt unserer Kinder sorgen." 

"An wen sonst sollten wir uns wenden, wenn unsere Rechte verletzt werden, nicht nur als Seeleute, sondern als Menschen," fügte er in einem Hilferuf an den Präsidenten der Ukraine hinzu.

Brasilien hat im November 2019 das Seearbeitsübereinkommen unterzeichnet, und die Behörden hielten es für wichtig, es bei dieser Gelegenheit durchzusetzen.

Die brasilianische Marine half bei der erneuten Bevorratung des Schiffes. Es wurde eine Arbeitsgruppe mit Vertreter*innen der Ministerien für Arbeit, Justiz und soziale Sicherheit sowie der Bundespolizei und der Marine zusammengestellt.

Dem Vertreter der Reederei wurde eine Frist bis zum 16. Juni gesetzt.  Als diese Frist verstrichen war, wurde das Schiff zur Sicherung von Heueransprüchen und sonstigen Forderungen arrestiert.

Danach arbeitete de Freitas per Videokonferenz mit der Staatsanwaltschaft zusammen, um bei der Einleitung eines Klageverfahrens gegen die Reeder, Verwalter und Befrachter des Schiffes zu helfen.  

Die ITF bereitete eine Klage wegen Zurücklassung und Verletzung der Rechte der Besatzung sowie mangelhafte Schiffswartung nach dem Seearbeitsübereinkommen vor.  

Als er herausfand, dass den Männern an Bord seit vier bis elf Monaten keine Heuern ausbezahlt worden waren, meldete der brasilianische Arbeitsinspektor Claudio Tarifa dem ukrainischen Generalkonsulat schwere Verstöße gegen Menschen- und Arbeitsrechte. Er berichtete, dass einige Besatzungsmitglieder noch nicht einmal die Heuern aus vorherigen Verträgen erhalten hätten.

"Der Crew bleibt nichts anderes übrig, als für ihre eigene Versorgung und die grundlegenden Bedürfnisse ihrer Familienangehörigen selbst aufzukommen," so Tarifa. "Keine Heuern in der Tasche zu haben, macht die Seeleute angreifbar und wehrlos. Sie haben keinerlei Optionen, sie können das Schiff nicht verlassen und haben keine Handhabe."

Aber die ITF schlug auch im Herkunftsland der meisten Besatzungsmitglieder der Srakane Alarm. ITF-Inspektorin Nataliya Yefrimenko redete Klartext:

"Ihr Arbeitgeber kommt seinen Verpflichtungen nicht nach, was gravierende Folgen für die Familien haben wird, die von diesen Heuern abhängen."

Der Schiffsbetreiber Oceans Wide Ltd und der Arbeitgeber machten finanzielle Probleme aufgrund der Covid-19-Krise geltend.

Die Pandemie hat zwar massive Beeinträchtigungen für die Beschäftigten im weltweiten Schifffahrtssektor und einige Schifffahrtsrouten zur Folge, aber der Seefrachtverkehr läuft weitgehend unbeschadet weiter. Die Crewwechsel-Krise zieht Seeleute in Mitleidenschaft, die nicht ein- oder ausschiffen können – aber sie hat noch keine Auswirkungen auf Schifffahrtsunternehmen oder die Versorgung mit Gütern. Die Besatzung der Srakane hatte jedenfalls schon Monate vor dem Ausbruch der Pandemie keine Heuern mehr gesehen.

De Freitas erklärte, die ITF sei misstrauisch, wenn Arbeitgeber ihre Besatzungen unter Berufung auf Covid-19 um ihre Heuern betrügen. Wenn ein Reeder zahlungsunfähig ist, können nach dem Seearbeitsübereinkommen andere Parteien, einschließlich der Befrachter, in Haftung genommen werden.

Die brasilianischen Behörden bemühten sich unermüdlich um eine Lösung, um die ausländische Crew der Srakane heimzuschaffen und ihre Heuern einzutreiben.

Am 4. Juli kam dann der Durchbruch. Der örtliche Geschäftsmann João Carlos Camisa Nova Junior vom Agrarunternehmen CBA Exportação de Produtos Agrícolas Ltda erklärte sich bereit, Seachios Ltd als Subcharterer mit dem Transport von Sojabohnen auf der Srakane zu beauftragen. Er zahlte 300.000 US-Dollar im Voraus, mehr als für die Begleichung der Heuerschulden und der Heimschaffungskosten benötigt wurde.

Er schloss mit dem Charterunternehmen Seachios eine Durchführungsbestimmung ab, einen so genannten Termo de Ajuste de Conduta (TAC), den CBA als Bürge unterzeichnete. Seachios heuerte daraufhin eine brasilianische Besatzung für die Srakane an, sodass die ukrainischen und montenegrinischen Besatzungsmitglieder endlich abgelöst werden und nach Hause fliegen konnten.

Nach Reparaturarbeiten wurde die Arrestierung des Schiffes aufgehoben. Die Srakane war wieder betriebsbereit, um Güter vom Hafen von São Sebastião über den Atlantik nach Europa zu transportieren.

Außer den gesamten ihnen zustehenden Heuern wurden allen Seeleuten die Kosten für Flug und Transfer, medizinische Versorgung, Unterkünfte sowie Mahlzeiten während der Reise erstattet. Darüber hinaus erhielt jeder von ihnen 400 US-Dollar für Reiseauslagen.

Drei Besatzungsmitglieder, die unter Stresssymptomen litten, wurden am 18. Juni gemeinsam mit einem Offiziersanwärter aus Montenegro als erste heimgeschafft. Die zwölf noch an Bord verbliebenen Seeleute folgten am 26. und 30. Juli.  

Der Zweite Offizier und der Kapitän der Srakane werden ausschiffen, wenn das Schiff im nächsten Hafen einläuft.

Nach seiner Ankunft in der Ukraine schrieb der Erste Offizier Pavlenko an ITF-Inspektor Freitas in Brasilien: "Vielen Dank für deine enormen Bemühungen und deinen gigantischen Einsatz ... Alle Besatzungsmitglieder haben ihre Heuern erhalten."

Die Männer von der Sakrane sind wieder zuhause. Mit den Heuern, die ihnen zustehen.

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*Der Name wurde von uns geändert.

 

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