Gewerkschaften im Seeverkehr verurteilen den schockierenden, systematischen Diebstahl der Heuern von Seeleuten auf internationalen Frachtschiffen, die in australischen Gewässern Handel treiben, als nationale Schande.
Die Enthüllungen sind Gegenstand eines Berichts des Australia Institute's Centre for Future Work mit der Überschrift "Robbed at Sea" (Diebstahl auf See), der Daten untersucht, die über einen Zeitraum von zehn Jahren von den australischen Inspektor*innen der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) gesammelt wurden. Im Zeitraum von 2012 bis 2022 führten sie fast 5.000 Inspektionen in australischen Häfen durch.
Die ITF fand heraus, dass 70 Prozent der Schiffe, die im für die Wirtschaft lebensnotwendigen Import- und -Export-Verkehr operieren, die internationalen Mindestnormen für Heuern nicht erfüllen. Die Heuernachforderungen für den genannten Zeitraum belaufen sich auf insgesamt 38 Millionen US-Dollar.
Profite vor Menschen
"Internationale Reedereien scheffeln atemberaubende Profite durch die Ausbeutung von im Verborgenen arbeitenden und oft ungeschützten Beschäftigten an Bord von Schiffen, die unter Billigflaggen registriert sind, bei denen die Mindestarbeitsnormen nicht durchgesetzt werden," so Paddy Crumlin, ITF-Präsident und nationaler Sekretär der Maritime Union of Australia (MUA).
Seeleute auf Billigflaggenschiffen kommen für gewöhnlich aus Entwicklungsländern mit niedrigem Lohnniveau, die nur begrenzte Möglichkeiten haben, der Ausbeutung durch skrupellose Schiffseigner, Auftragnehmer und Unterauftragnehmer entgegenzutreten. In Hafenstaaten (wie Australien) müssen stringente Vorschriften gelten, um diese sozial schwachen Beschäftigten zu schützen.
Der Bericht des Australia Institute stellt jedoch mehrere Gesetzeslücken und Defizite bei der Durchsetzung heraus, die Reedern die systematische Ausbeutung dieser Seeleute ermöglichen, selbst im Frachtverkehr zwischen australischen Hafen.
Für den australischen ITF-Koordinator Ian Bray sind die in dem Bericht Robbed at Sea dargelegten Heuernachforderungen und Enthüllungen nur die Spitze des Eisbergs.
"Die Abzocke bei den Löhnen der Beschäftigten ist in der Regel ein Indiz für weitere Probleme und Missstände. Wenn ein Boss nicht davor zurückschreckt, Seeleute systematisch um ihre Heuern zu betrügen, laufen mit Sicherheit noch andere kriminelle Machenschaften ab," so Bray.
"Endemischer Lohnbetrug innerhalb des internationalen Schifffahrtssektors ist ein massives Problem, aber es bestehen eindeutig Diskrepanzen zwischen den verschiedenen Regulierungsbehörden wie der australischen Behörde für Seeverkehrssicherheit, der Aufsichtsbehörde Fair Work Ombudsman (FWO) und verschiedenen Hafenbehörden hinsichtlich der Durchsetzung von Arbeitsnormen im maritimen Sektor. Wir hoffen, dass diese schnell beseitigt werden, damit diese Missstände aufgedeckt, abgestellt und verhindert werden," so Bray weiter.
Bray forderte, dass die im Bericht identifizierten Probleme von den Bundesbehörden, die für die Verfolgung von Arbeitsrechtsverletzungen zuständig und verantwortlich sind, auf koordinierte Weise angegangen werden müssen.
Australische Wirtschaft stützt sich auf endemischen Lohnbetrug
Da mehr als 90 Prozent der australischen Importe und Exporte auf dem Seeweg abgewickelt werden, ist kein Bereich der australischen Volkswirtschaft unabhängig von der internationalen Schifffahrtswirtschaft.
"Die Ausbeutung und schlechte Behandlung dieser Beschäftigten durch internationale Reedereien sollte für alle australischen Unternehmen und Verbraucher ein Anlass zu ernster Sorge sein," so Crumlin. "Der systematische Heuerdiebstahl und die schlechte Behandlung von wenig geschützten, unsichtbaren Arbeitskräften ist eine Schande angesichts unserer erklärten Werte der Gerechtigkeit und Menschenwürde bei der Arbeit."
Der Bericht "Robbed at Sea" enthält zehn konkrete Empfehlungen für die Eindämmung von Heuerbetrug an internationalen Seeleuten in australischen Gewässern. Dazu gehören die Schließung einer aktuellen Gesetzeslücke, die im Ausland registrierten Schiffen zwei Fahrten zwischen australischen Häfen ermöglicht, ohne die Bestimmungen des "Fair Work Act" oder des "Seagoing Industry Award" einhalten zu müssen, sowie die Stärkung der Kontrollmittel der australischen Behörde für Seeverkehrssicherheit und der Aufsichtsbehörde Fair Work Ombudsman, um die Einhaltung bestehender Vorschriften zu verbessern.
Die Erneuerung der australischen Seeschifffahrt wird eine Anhebung der Normen bewirken
Vor diesem Hintergrund wird die Ankündigung der neuen Bundesregierung, eine strategische Flotte von Schiffen unter australischer Flagge und mit australischen Besatzungen zu schaffen, logischerweise die Normen für alle Seeleute verbessern, deren Schiffe australische Häfen anlaufen.
"Das systematische Fehlverhalten und die Rechtsverletzungen durch diese Unternehmen zeigen, wie dringend erforderlich ein Eingreifen geworden ist," so Crumlin. "Die ITF hat die Arbeitsnormen im maritimen Sektor dieses Landes überwacht und durchgesetzt, trotz eines Umfelds von Unnachgiebigkeit und Desinteresse der ehemaligen liberalen Regierung sowie von Desinformation und Vertuschung durch PR-Vertreter der Branche, wie Shipping Australia Limited."
In dieser Woche äußerte der Verband Shipping Australia Limited, der in Australien operierende internationale Reeder vertritt, zum wiederholten Mal Kritik an der Erneuerung des australischen Schifffahrtssektors und offenbarte damit, dass sein wahres Interesse eher an der Vertuschung von Missständen in der Branche liegt als an der Zusammenarbeit mit Regierung und Gewerkschaften zur Anhebung der Normen.
"Anstatt Fake News zu verbreiten, um das, worin sie ihr kommerzielles Interesse sieht, zu schützen, muss die Branche mehr tun, um Lohnbetrug zu unterbinden. Der jüngste Kommentar der so genannten Lobbygruppe von Shipping Australia Limited gegen den Regierungsvorschlag, eine strategische Flotte aufzubauen, ist nur eine weitere sture Trotzreaktion gegen die Anhebung der Normen für Seeleute, was dieser Bericht in aller Deutlichkeit aufzeigt," so Crumlin.
Der Bericht enthält die folgenden Empfehlungen:
- Schließung einer aktuellen Gesetzeslücke, die im Ausland registrierten Schiffen zwei Fahrten zwischen australischen Häfen ermöglicht, ohne die Bestimmungen des "Fair Work Act" oder des "Seagoing Industry Award" einhalten zu müssen.
- Stärkung der Kontrollmittel der australischen Behörde für Seeverkehrssicherheit und der Aufsichtsbehörde Fair Work Ombudsman zur Gewährleistung einer besseren Einhaltung der bestehenden Vorschriften.
Hinweise für Redaktionen
Der Bericht Robbed at Sea: Endemic Wage Theft from Seafarers in Australian Waters wurde in Zusammenarbeit mit dem australischen Schiffsinspektorat der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) erstellt.
Er wird anlässlich des Weltschifffahrtstag am Donnerstag, den 29. September 2022, herausgegeben, an dem jedes Jahr die Gelegenheit besteht, über die Risiken und die Ausbeutung aufzuklären, mit denen Seeleute in der internationalen Schifffahrtswirtschaft konfrontiert sind.