Eine auszubildende Ingenieurin, die seit Februar an Bord eines Schiffes festsitzt, fühlt sich gedemütigt, weil sie keine Damenbinden hat. Sie ist zunehmend besorgt, dass sie nicht nach Hause zurückkehren kann. Ein Seemann kann nicht begreifen, warum er nicht heimgeschafft werden kann, wo doch sein Vertrag vor sechs Monaten endete. Ein neues Besatzungsmitglied kann nicht an Bord eines Schiffes gehen, weil die Person, die er ablösen soll, das Schiff nicht verlassen darf.
Dies ist die Realität der Crewwechsel-Krise. Hinter den Statistiken (es gibt jetzt 400.000 Seeleute, die von der Tragödie betroffen sind), den Erklärungen und Versprechungen von Regierungen und internationalen Organisationen stehen die täglichen Erfahrungen der Seeleute, die die Krise durchleben müssen.
Genau auf dieser Ebene der realen Welt sind die Bemühungen von Besatzungsmanagement, Reedern und Gewerkschaften, die Besatzungen nach Hause zu bringen und ablösen zu lassen, so wichtig.
Der in Liverpool tätige ITF-Inspektor Tommy Molloy arbeitet mit allen möglichen Stellen zusammen, um bei der Heimschaffung von Seeleute zu helfen.
Gemeinsam mit der Crewmanagementfirma Marlow Navigation hilft er Seeleuten auf mehreren von der Firma verwalteten Schiffen, in ihre Heimatländer zurückzukehren.
Im Folgenden werfen wir einen Blick auf einige der jüngeren Fälle von Molloy und Marlow.
Densa Leopard
Anfang September berichtete die Nautilus über den Fall eines russischen 2. Ingenieurs an Bord des MV Densa Leopard, dessen Vertrag seit einem halben Jahr abgelaufen war, der aber trotz der Bemühungen von Marlow Navigation (NL) nicht von Bord gehen konnte. Molloy setzte sich beim Flaggenstaat Malta für den Fall ein.
“Das maltesische Verkehrsministerium verlangte eine schriftliche Erklärung des Seemanns, in der er seine Heimschaffung beantragte, aber der Flaggenstaat reagierte nicht, als diese vorgelegt wurde,” berichtet Molloy. “Als das Schiff nach Sri Lanka zurückkehrte, hatte Marlow Navigation eine Ablösung organisiert, einen Seemann aus Sri Lanka, aber das Ergebnis seines gemäß den örtlichen Vorschriften erforderlichen Covid-Tests lag erst nach zwei Tagen vor. Der Charterer wollte nicht warten und wies das Schiff an, sich auf den Weg zum Roten Meer zu machen, wo mehrere Seeleute zur Ablösung an Bord kommen sollten.
“Vor dem Auslaufen drängte die ITF darauf, dass die srilankische Hafenstaatkontrolle das Schiff inspizieren und feststellen sollte, ob das Schiff im Rahmen der nationalen und innerstaatlichen Vorschriften über das Wohlergehen von Seeleuten und gültige Verträge betrieben wurde, was diese jedoch ablehnte.”
Das Unternehmen bat darum, dem 2. Ingenieur die Genehmigung zu erteilen, selbst ohne Ablösung in Sri Lanka von Bord zu gehen. Es war nicht davon auszugehen, dass Malta damit ein Problem hatte, da der Seemann nach Abschluss seines Vertrages seine Arbeit eingestellt hatte und zu einem Passagier des Schiffs geworden war – wie es ihm nach dem Seearbeitsübereinkommen zusteht.
“Wir erfuhren, dass der Flaggenstaat kontaktiert und gefragt worden war, ob sie dem 2. Ingenieur gestatten würden, ohne Ablösung in Sri Lanka an Land zu gehen, da er dem Rat der ITF folgte und ohnehin nicht mehr arbeitete. Es wurde eine Ausnahmegenehmigung von den Vorschriften für eine sichere Schiffsbesatzung bis zum nächsten Hafen beantragt, wo ein weiterer 2. Ingenieur bereitstand, um an Bord zu kommen. Offenbar lehnte das maltesische Verkehrsministerium dies mit der Begründung ab, dass die Besatzungsanforderungen für einen sicheren Schiffsbetrieb erfüllt seien, solange sich sein Befähigungszeugnis mit ihm an Bord befand, auch wenn er nicht arbeitete. Ich habe das Ministerium um Klarstellung gebeten, ob dies wirklich der offizielle Standpunkt sei, aber auch hierauf erhielt ich keine Antwort.”
"Da er nicht mehr arbeitete, waren die Besatzungsvorschriften für einen sicheren Schiffsbetrieb auf dem Schiff ohnehin nicht erfüllt,” so Molloy. “Malta machte jedoch geltend, dass die Besatzungsvorschriften erfüllt seien, solange der Seemann und sein Befähigungszeugnis sich an Bord befänden. So zwangen sie ihn, an Bord zu bleiben, um vorgeben zu können, dass er zur Sicherheit des Schiffes beitrage, und ein Häkchen hinter ihre Rolle als Regulierungsstelle zu setzen.
“Dies ist ein wirklich empörendes und potenziell todbringendes Signal von Seiten eines Flaggenstaates. Nicht nur, dass sie jemandem das Recht verweigern, nach Hause zurückzukehren, sie geben auch vor, dass eines der Schiffe unter ihrer Flagge sicherer ist, als es in Wirklichkeit ist. Wie können sie sagen, dass jemand zur Sicherheit eines Schiffes beiträgt, wenn diese Person sich bereits vom Dienst abgemeldet hat, möglicherweise weil sie zu müde oder erschöpft ist, um weiterzuarbeiten, und sich nun als Passagier erholt? Ich bin sicher, dass die ITF diese Entscheidung in den kommenden Wochen gegenüber Malta erneut zur Sprache bringen wird.”
Da Hilfe aus Sri Lanka oder Malta ausblieb, richtete Molloy seine Aufmerksamkeit auf Jordanien.
Molloy informierte die Eigner der MV Densa Leopard, die türkische Reederei Marinsa Denizcilik AS, dass die Grenzen Jordaniens seit ihrem Plan, den Besatzungswechsel dort vorzunehmen, geschlossen worden seien. Infolgedessen, so Molloy, würden die jordanischen Behörden das Schiff wahrscheinlich festhalten, da es unwahrscheinlich sei, dass die Reederei ein neues Besatzungsmitglied zur Ablösung ins Land bekommen würde.
Aufgrund von Molloys Warnungen setzte die Reederei das Schiff für zwei Tage off-hire, damit es nach Ägypten fahren konnte, um den Seemann endlich von Bord gehen zu lassen. Am 29. September, fast sieben Monate nach dem Ablauf seines Vertrags, kehrte er nach Hause zurück.
Densa Seal
Marlow Navigation bat Molloy auch um die Unterstützung der ITF im Falle der MV Densa Seal, die in Puerto Quetzal in Guatemala vor Anker lag. Die 18-köpfige Besatzung befand sich zwischen 10 und 14 Monaten an Bord und weigerte sich, auf dem Schiff weiterzufahren. Zwar waren 17 Seeleute aus Mexiko unterwegs, um auf dem Schiff anzumustern, doch erreichten sie die Grenze zu Guatemala erst, als diese gerade geschlossen wurde. Sie saßen daraufhin in einem Hotel in der Nähe des Grenzübergangs zwischen beiden Ländern fest. Die mexikanischen Behörden lehnten es außerdem ab, ihnen Visa für die Durchreise durch Mexiko zu erteilen.
Juan Villalón Jones ist ITF-Inspektor in Chile und Koordinator des ITF-Kontaktnetzwerks für Lateinamerika und die Karibik. Er berichtet über die weiteren Vorgänge.
“Die Reederei und wir setzten alle Hebel in Bewegung, damit die neue Besatzung an Bord kommen konnte – was die Voraussetzung ist, um die alte Besetzung heimschaffen zu können. Wir wandten uns an die Botschaften der Philippinen und der Ukraine in Guatemala, einen lokalen Agenten, den Vertreter des P&I Clubs und unseren ITF-Inspektor in Mexiko, der seinerseits das mexikanische Außenministerium kontaktierte.
“Die Botschaften und die Behörden Guatemalas kooperierten schließlich und erhielten die Genehmigung des Präsidenten, dass die neuen Besatzungsmitglieder die Grenze vor ihrer offiziellen Wiederöffnung überqueren dürfen. Am 16. September kam die Ablösungscrew endlich in Puerto Quetzal an und ging an Bord, so dass der Großteil der bisherigen Crew über Mexiko nach Hause fliegen konnte. Weitere Besatzungsmitglieder, deren US-Visa abgelaufen waren und denen die Durchreise durch Mexiko nicht erlaubt wurde, erhielten ebenfalls Unterstützung. Die Ukrainer flogen schließlich am 10. Oktober von El Salvador über Madrid nach Hause, und die Filipinos kamen am 11. Oktober in Manila an,” berichtet Villalón Jones.
Yasa Golden Dardanelles
Marlow Navigation setzte sich auch für die Besatzung des MV Yasa Golden Dardanelles ein, die seit mehr als 12 Monaten auf dem Schiff war. Das Schiff lag in Houston, USA, und die zur Ablösung eingetroffenen Seeleute befanden sich bereits an Bord. Die US-Visa von zwei philippinischen Besatzungsmitgliedern waren jedoch abgelaufen, so dass die US-amerikanische Zoll- und Grenzschutzbehörde CBP ihnen das Verlassen des Schiffes untersagte, selbst wenn sie unter bewaffnetem Schutz zum Flughafen begleitet würden.
Molloy kontaktierte den ITF-Inspektor in Houston Shwe Tun Aung: “Wir erklärten der CBP, dass sich nun 24 Menschen an Bord befänden, das Schiff aber nur Sicherheitsausrüstung für 22 Menschen mit sich führe,” so Aung. “Da das Schiff auf absehbare Zeit an der Golfküste der USA operieren sollte, wiesen wir darauf hin, dass die beiden Besatzungsmitglieder mit abgelaufenen Verträgen de facto durch die Bürokratie gefangen gehalten würden. Die Behörde ließ sich nicht umstimmen.”
“Der Reederei blieb keine andere Wahl, als die beiden neuen Besatzungsmitglieder wieder nach Hause zu schicken und ihnen so die Heuern vorzuenthalten, mit denen sie gerechnet hatten, um den Unterhalt ihrer Familien zu sichern, während die beiden Seeleute, die gehofft hatten, endlich nach Hause zurückzukehren, an Bord bleiben mussten. Man kann sich vorstellen, wie hart das war.”
Die Ignoranz der CBP gegenüber den Lebensumständen der Seeleute behindere die Bemühungen um einen Besatzungswechsel erheblich, so Molloy. Er verweist auf ein weiteres Beispiel, das nicht im Zusammenhang mit Marlow Navigation steht, wo eine junge panamaische Offiziersanwärterin Aung am 1. Oktober kontaktierte und um Hilfe bei der Heimschaffung bat. Die angehende Ingenieurin ist seit dem 20. Februar an Bord eines Tankers tätig, der vor der Küste der Vereinigten Staaten für Leichterungsarbeiten eingesetzt ist, obwohl ihre Genehmigung für die Durchführung solcher Tätigkeiten abgelaufen ist. Sie hatte das Gefühl, dass das Unternehmen nichts unternahm, um ihr zu helfen, und schrieb: “Ich habe Probleme wegen meiner Menstruation und keine Damenbinden, um die Blutung aufzufangen. Das ist für mich eine sehr demütigende Situation und ich mache mir Sorgen um meine psychische Gesundheit.”
Aung wandte sich an die Reederei, die ihm versicherte, sich mehrmals bei der CBP dafür eingesetzt zu haben, die Offiziersanwärterin von Bord gehen zu lassen, und auch die Schifffahrtsbehörde von Panama um Hilfe gebeten zu haben. Am 1. Oktober wurde die Reederei von der CBP angewiesen, “die Flugbuchungen [der] Seemännin zu stornieren, da das Konsulat von Panama eingeschaltet ist ... und es etwa ein bis zwei Wochen dauern wird, bis wir eine Entscheidung der CBP in Houston erhalten".
Aungs Bitten an die CBP wurden nicht erhört. Die junge Offiziersanwärterin muss an Bord bleiben.
Wie soll es weitergehen?
Bei seinen Überlegungen, wie es weitergehen soll, um weitere Crewwechsel voranzutreiben, sagte Tommy Molloy, dass die Bemühung um Lösungen nach wie vor Sache der Regierungen sei.
“Covid-19 könnte die unzureichende Durchführung von Crewwechseln rechtfertigen, aber wir befinden uns jetzt seit acht Monaten in dieser Pandemie, und die Regierungen müssen Wege zur Ermöglichung der Ablösung dieser Beschäftigten finden.”
“Besatzungswechsel werden durch eine Kombination aus diversen nationalen Regierungen, ihrer Verwaltungsbürokratie, Charterern, die die Umleitung von Schiffen in andere Häfen nicht zulassen, diversen Flaggenstaaten, diversen Schiffseignern, Bürokraten vor Ort und mangelnden Flugverbindungen blockiert. Das Ganze macht es schwierig, Seeleute heimzuschaffen und von neuen Besatzungen ablösen zu lassen.”
“Die ITF hat keinerlei Toleranz gegenüber Unternehmen, die die Gelegenheit nicht nutzen, Crewwechsel vorzunehmen, wo immer dies möglich ist, aber die Branche muss ebenso hart daran arbeiten, die Umsetzung von Veränderungen überhaupt erst zu erleichtern. Darum setzt sich die ITF so nachdrücklich dafür ein, dass Regierungen für Seeleute praktische Ausnahmeregelungen von den Grenzbeschränkungen verfügen, und drängt so sehr darauf, dass mehr Flüge angeboten werden,” so Molloy.
Visa-Spiele
Unnachgiebigkeit in Bezug auf Visa, wie sie die Besatzung der Yasa Golden Dardanelles erlebte, sei in der Covid-19-Zeit keine Seltenheit, erklärte Molloy.
“Die begrenzte Verfügbarkeit von Flügen hat zur Folge, dass Besatzungsmitglieder in der Regel ein paar Tage auf die Bestätigung ihrer Heimflüge warten müssen, aber manche Mitarbeiter der Einwanderungsbehörde sind nicht bereit, ein Ausreisevisum für die Tage bis zu ihrer Abreise auszustellen. Sie unterbinden faktisch den Crewwechsel.”
“Die ITF hat die Länder nachdrücklich aufgefordert, Seeleute als systemrelevante Arbeitskräfte anzuerkennen, damit sie sicher vom Schiff zum Flughafen und umgekehrt reisen können. Stattdessen kehren viele Nationen den Seeleuten - den Menschen, die ihre Fracht befördern - den Rücken. Sie missachten ihre internationalen Verpflichtungen.”
Die Rolle der Charterer
Charterer sind die Agenten, die im Auftrag von Ladungseigentümern, wie Importeuren und Exporteuren und multinationalen Unternehmen, Schiffe chartern. Sie haben also großen Einfluss auf die Route, die die Schiffe nehmen, und darüber, ob Schiffe umgeleitet werden sollen.
Viele Charterer fügen jetzt Klauseln über die Nichtdurchführung von Crewwechseln in ihre Verträge mit Schiffseignern ein. Das bedeutet, dass der Schiffseigner und der Bemannungsagent nicht auf einen nahegelegenen Hafen ausweichen können, wo ein Besatzungswechsel möglich wäre, so lange ein Charterer einen geltenden Chartervertrag für ein Schiff hat, unabhängig davon, wie lange die Besatzung an Bord ist.
Eine Managementgesellschaft teilte Molloy mit, dass einige Charterer sich zudem weigern, eine BIMCO-Musterklausel über Crewwechsel aufzunehmen, und tatsächlich Schiffe ablehnen, wenn innerhalb der Laufzeit des Chartervertrags ein Besatzungswechsel geplant ist. Derartige Vorgehensweisen sind verheerend im Hinblick auf den Andrang müder und erschöpfter Seeleute in der Weltflotte und für die Hoffnung, die Crewwechsel-Krise in den Griff zu bekommen.
“Solche Dinge machen für die Seeleute eine ohnehin schon schlimme Situation noch schlimmer,” so Molloy. “Bis jetzt hatte ich noch mit keinem Suizid an Bord zu tun, aber das geschieht natürlich.”
“Eigentlich ist eher überraschend, dass es nicht öfter passiert. Es ist ziemlich naheliegend, dass die psychische Gesundheit von Menschen Schaden nimmt und sie die Hoffnung verlieren., wenn man sie lange genug auf engem Raum einsperrt. Hoffnungslosigkeit richtet bei den Menschen Übles an.”
“Das Schlimmste daran ist, dass diese Seeleute nichts Falsches gemacht haben. Sie haben einfach ihre Arbeit getan, um die Versorgung der Welt aufrechtzuerhalten. Der Lohn für ihre endlosen Opfer ist nun, dass die Welt und ihre Regierungen sie und ihre Familien mit völliger Geringschätzung behandeln,” so Molloy.