Nach Schätzungen der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) sitzen aufgrund der durch staatliche Grenz- und Reisebeschränkungen verursachten Crewwechsel-Krise inzwischen etwa 300.000 Seeleute an Bord von Schiffen fest, während die gleiche Anzahl arbeitsloser Seeleute an Land darauf wartet, sie abzulösen. Damit sind insgesamt 600.000 Seeleute von dieser Krise betroffen.
Heute vor einem Monat teilte die ITF der Welt unter der Losung "Genug ist genug" mit, dass sie und ihre Mitgliedsorganisationen den Seeleuten der Welt von nun an bei der Durchsetzung ihres Rechts helfen werden, die Arbeit zu beenden, das Schiff zu verlassen und zu ihren Familien zurückgeführt zu werden, sobald ihre Verträge abgelaufen sind.
ITF-Generalsekretär Stephen Cotton erklärte, dass in der Zeit seit dem 15. Juni zwar einige positive Entwicklungen zu verzeichnen seien, aber die Regierungen keine ausreichenden Fortschritte gemacht hätten, um die Ausnahmeregelungen und Protokolle herbeizuführen, die für die Durchführung reibungsloser Crewwechsel in aller Welt erforderlich seien.
"Auf diesen Schiffen sitzen 300.000 Seeleute fest, und weitere 300.000 stehen zu Hause am Rande des finanziellen Ruins und warten darauf, diese Schiffsbesatzungen abzulösen, um wieder Geld verdienen zu können. Die Regierungen sind das größte Hindernis für die Lösung der sich verschärfenden Crewwechsel-Krise," kritisierte Stephen Cotton.
"Die Regierungen müssen endlich aufwachen und sich der schlichtweg haltlosen und inakzeptablen Tatsache stellen, dass ohne die Wiederaufnahme von Crewwechseln zunehmend mehr müde und erschöpfte Seeleute auf den Schiffen der Welt gefangen sind, ihre Arbeit fortsetzen müssen und eine Gefahr für sich selbst, ihre Schiffe und unsere Meeresumwelt darstellen."
"Seeleute und ihre Gewerkschaften sind sehr besorgt angesichts der Risiken für Menschenleben, Sachwerte und die Umwelt, denn die Wahrscheinlichkeit größerer Katastrophen nimmt täglich zu. Regierungen müssen handeln, bevor noch mehr Menschen sterben oder – noch schlimmer – es zu einer Katastrophe auf See kommt. Es muss dringend gehandelt werden."
"Im Juni haben wir eine Grenzlinie gezogen, um klarzustellen, dass die ITF und ihre Mitgliedsorganisationen dazu bereit sind, Seeleuten bei der Wahrnehmung ihres Rechts zu helfen, ihre Arbeit zu beenden, ihre Schiffe zu verlassen und zu ihren Familien zurückzukehren, wenn ihr Vertrag beendet ist und die Umstände entsprechend sicher sind. Im letzten Monat haben wir Tausende von Seeleuten dabei beraten und unterstützt, dieses Grundrecht geltend zu machen," so Stephen Cotton.
Der Vorsitzende der ITF-Seeleutesektion David Heindel erklärte, die ITF und ihre Sozialpartner hätten alles in ihren Möglichkeiten Stehende unternommen, um Alarm zu schlagen und auf praktische Änderungen zur Ermöglichung von Crewwechseln zu drängen.
"Gemeinsam mit unseren Partnern haben wir praktische Lösungen erarbeitet und den Regierungen unterbreitet. Wir freuen uns darüber, dass einige Regierungen Optionen vorgeschlagen haben, um das Ausschiffen und die Ablösung von Seeleuten zu ermöglichen, z. B. die Erteilung von Visa bei Ankunft und Visumbefreiungen. Trauriger Fakt ist jedoch, dass die Regierungen global nicht annähernd das tun, was erforderlich ist, und einige machen sogar Rückschritte," so Heindel.
"Es ist inakzeptabel, dass manche Regierungen Seeleute nicht an Land gehen lassen oder die Anzahl von Personen, die täglich in ihr Land einreisen dürfen, beschränken. Die Nationen, die vom Seehandel abhängen, wie Australien und Russland, müssen in der Angelegenheit ihr Gewicht in die Waagschale werfen."
"Wir haben ferner deutlich gemacht, dass wir und die uns angeschlossenen Gewerkschaften aufmerksam verfolgen werden, ob die 13 Regierungen, die in diesem Monat an der von Großbritannien ausgerichteten virtuellen internationalen Gipfelkonferenz zum Thema Crewwechsel teilnahmen, ihre Versprechen einhalten. Wir werden sie zur Rechenschaft ziehen und andere ermutigen, dem Beispiel dieser fortschrittlichen Regierungen zu folgen. Die Krise erfordert ein einheitliches Vorgehen aller Regierungen, das die Bedürfnisse der Seeleute der Welt ernst nimmt. Lippenbekenntnisse der Regierungen sind keine akzeptable Lösung mehr."
"Die ITF-Familie wird ferner alle Versuche brandmarken, Seeleute wegen der Wahrnehmung ihres Menschenrechts auf Beendigung ihrer Arbeit und Heimschaffung nach Vertragsende einzuschüchtern oder auf die schwarze Liste zu setzen, und wird sie vor allen Vorstößen schützen, ihnen die Schuld für die unvermeidlichen Folgen des Einsatzes zunehmend übermüdeter und erschöpfter Besatzungen in der Weltflotte in die Schuhe zu schieben."
"Wir appellieren ein weiteres Mal an die Regierungen, Maßnahmen im Hinblick auf Visabestimmungen, Quarantäneregelungen und Flugverbindungen zu ergreifen, um weltweit wieder reibungslose Crewwechsel möglich zu machen. Wir sind bereit, weitere Optionen auszuloten, um Regierungen dazu zu bewegen, diese Krise ernst zu nehmen," mahnte David Heindel.
Der vollständige Wortlaut der Erklärung der ITF kann hier nachgelesen werden.
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Hinweis für Redaktionen:
Wie kommt die Zahl von 300.000 Seeleuten zustande?
Für über 9.500 Schiffe gelten Verträge, die im Rahmen des Internationalen Verhandlungsforums (International Bargaining Forum – IBF) zwischen der ITF und den jeweiligen Arbeitgebern unterzeichnet wurden. Auf diesen Schiffen sind etwa 370.000 Seeleute beschäftigt.
Seit Juni 2020 ist für mindestens 25 Prozent der aktuell auf IBF-Schiffen arbeitenden Seeleuten die Heimschaffung überfällig. Mit anderen Worten sitzen momentan 92.500 Seeleute an Bord der 9.500 IBF-Schiffe fest und haben keine andere Wahl, als weiter zu arbeiten. Das heißt auch, dass 92.500 weitere Seeleute drauf warten, diese Besatzungen abzulösen, aber aufgrund derselben Reisebeschränkungen nicht einschiffen können. So wird ihnen die Möglichkeit genommen, das dringend benötigte Einkommen zu verdienen.
Auf Schiffen mit IBF-Verträgen arbeiten 30,8 Prozent der insgesamt 1,2 Millionen Seeleute, die den Schätzungen der Internationalen Schifffahrtskammer zufolge im weltweiten Schifffahrtssektor beschäftigt sind. Wenn man die 25 Prozent der auf IBF-Schiffen arbeitenden Seeleute, für die Heimschaffung überfällig ist, auf die 1,2 Millionen Seeleute weltweit hochrechnet, dann warten in der ganzen Welt schätzungsweise 300.000 Seeleute auf ihre Heimschaffung und weitere 300.000 darauf, sie abzulösen.
Das bedeutet, dass bereits 600.000 Seeleute von der Crewwechsel-Krise betroffen sein könnten, und ihre Zahl nimmt täglich zu.
Zahlen des ITF-Inspektorats
Seit dem 16. Juni hilft die ITF Seeleuten, ihre Schiffe zu verlassen und in ihre Heimatländer zurückzukehren. Sie beriet und unterstützte Tausende von Seeleuten:
- im Rahmen von 645 Fällen/Inspektionen,
- sowie von 2.870 E-Mails und
- über 500 Facebook-Nachrichten und
- über 500 WhatsApp- und Viber-Meldungen.
- Die größte unterstützte Gruppe von Seeleuten stammt aus den Philippinen.
Medienkontakt: media@itf.org.uk
Wenn du auf einen Seemann/eine Seefrau triffst, der/die sofortige Hilfe oder Unterstützung braucht, nimm Kontakt zum ITF-Team für die Unterstützung von Seeleuten auf.